Sie kennen „fiktive Schadenkosten“ aus dem Verkehrsrecht: nach einem Verkehrsunfall lässt der Geschädigte sein Fahrzeug von einem Gutachter untersuchen. Dieser ermittelt die zur Schadenbeseitigung notwendigen Maßnahmen und den hierfür erforderlichen Betrag. Der Geschädigte verlangt dann den erforderlichen Betrag, verwendet ihn aber nicht für die Schadenbeseitigung. Die Abrechnung erfolgt auf „Gutachterbasis“. Deswegen bezeichnet man solche Schadenkosten als „fiktiv“. Sie sind ja nicht „real“ entstanden.
Im Werkvertragsrecht gab es diese Möglichkeit ebenfalls, allerdings nur bis zur jüngst erfolgten Veröffentlichung der Entscheidung des Bundesgerichtshofes (BGH) vom 22.02.2018 (Az. VII ZR 46/17). Bis dahin war der Besteller (z.B. der Bauherr) u.a. berechtigt, seinen Schaden auf der Basis fiktiver Mängelbeseitigungskosten zu bemessen. Er könne – so der BGH – abweichend von § 249 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) verlangen, dass der Schaden mit dem für die Mängelbeseitigung erforderlichen Geldbetrag abgegolten werde. Ob er den zur Verfügung gestellten Betrag tatsächlich zur Mängelbeseitigung verwendet oder nicht, sei unerheblich (so z. B. BGH-Urteile vom 24. 5. 1973, Az. VII ZR 92/71 und vom 28. 6. 2007, Az. VII ZR 81/06).
Diese Rechtsprechung hat der BGH aufgegeben. In Zukunft wird es im daher für Werkverträge, die ab dem 01.01.2002 geschlossen wurden, keine Schadensbemessung mehr geben, die auf fiktive Mängelbeseitigungskosten gestützt wird. Ein Besteller, der keine Aufwendungen zur Mängelbeseitigung tätigt, sondern diese nur fiktiv ermittelt, hat keinen Vermögensschaden in Form und Höhe dieser (nur fiktiven) Aufwendungen. Erst wenn er den Mangel beseitigen lässt und die Kosten dafür begleicht, entsteht ihm ein Vermögensschaden. Oftmals führe eine fiktive Schadensberechnung zu einer Überkompensation und damit nach einer nach allgemeinen schadensrechtlichen Grundsätzen nicht gerechtfertigten Bereicherung des Bestellers (BGH): gewann der Besteller einen in der Regel langwierigen Bauprozess, bestand bisher die Möglichkeit, die fiktiven Mängelbeseitigungskosten verzinst – mit bis zu 9 Prozentpunkten über dem Basiszins- zu erhalten. Verständlich, dass diese Abrechnung gerne zur Nachfinanzierung gewählt wurde. Das ist jetzt nicht mehr möglich. Angesichts der dem Besteller verbleibenden Möglichkeiten zur Schadenberechnung sei dieser durch den Wegfall fiktiver Schadenbeseitigungskosten auch nicht benachteiligt.
Die praktischen Auswirkungen dieses Urteils sind enorm. Es gilt für alle Bauverträge, Architekten- und Ingenieurverträge und Bauträgerverträge, soweit diese als Werkvertrag einzustufen sind. Bereits laufende Verfahren müssen neu bewertet, gegebenenfalls Klagen auf Zahlung fiktiven Schadensersatzes nun auf Vorschussklagen umgestellt werden.
Bauherren müssen sich grundsätzlich überlegen, ob sie den Mangel beseitigen lassen oder den Schaden durch Vermögensvergleich mit und ohne Mängel bemessen. Bei noch nicht rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren ist neu zu überlegen, ob man doch noch Rechtsmittel einlegt.
Auswirkungen auf andere Rechtsbereiche sind nicht auszuschließen. Denkbar ist auch ein Ende der eingangs dargestellten Abrechnung von Unfallschäden auf Gutachterbasis, soweit sich der dafür zuständige Senat am BGH dem obigen Urteil anschließt.